Infoflugblatt: “Wollen Anarchisten die Republik ins Chaos stürzen?”
Anarchistinnen gibt es schon seit Tausenden von Jahren, ja wahrscheinlich so lange wie es Menschen gibt, und den Wunsch, frei von Unterdrückung zu sein. Die ersten überlieferten Namen begegnen uns bei den Philosophen der alten Griechen; Zeno, der geistige Vater der Stoiker, war einer von ihnen. Sein Wahlspruch: “Jeder nach seinem Können, jeder nach seinen Bedürfnissen”, gilt uns heute noch immer. Viele bekannte Menschen: SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zählten und zählen sich zu den AnarchistInnen, deren Ziel es ist: Eine herrschaftslose und gewaltfreie Gesellschaft auf der Basis der Freiwilligkeit und der Gegenseitigen Hilfe zu erreichen. Das sei vöööllig “utopisch” hören wir die Philister auf ihren Rängen und Emporen stöhnen. Lachend schütteln sie Bauch und Eierköpfe über so viel Unverstand und Idealismus.
Geschichtliche Hintergründe
Seit rund 150 Jahren gibt es in Europa und der Welt Menschen, die sich als AnarchistInnen bezeichnen. Das Wort kommt aus dem Griechischen von “an-archos”, das heißt: “ohne Herrschaft”. Der französische Sozialist Pierre-Joseph Proudhon bezeichnete sich als erster öffentlich und provokativ als “Anarchist”. Obwohl der Anarchismus schon frühere DenkerInnen hatte, wurde er erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit der aufkommenden ArbeiterInnenbewegung zu einer politischen Theorie und Kraft. Eine seiner bekanntesten Figuren war der russische Revolutionär Michael Bakunin, der als Organisator große Bedeutung erlangte. Er bildete auf der sozialistischen Ersten Internationale den Gegenpol zu Karl Marx. Diese Internationale zerbrach 1872 am Widerspruch zwischen dem marxistisch-autoritären Flügel (bis 1876) und dem (“bakuninistisch”-) antiautoritären, der zunächst noch der größere und langlebigere war. Hier stoßen wir darauf, dass sich die AnarchistInnen in der Regel für den Sozialismus (in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes) einsetz(t)en. Der Grundwiderspruch der ersten Internationale besteht allerdings noch heute: Die AnarchistInnen wollen einen sich freiwillig entwickelnden Sozialismus, der sich von unten nach oben, also föderativ aufbaut. Das weist auch gleich darauf hin, dass die AnarchistInnen nicht Feinde jeglicher Organisation sind, sondern vielmehr nur zentralistische, autoritäre Organisationsformen ablehnen und somit in direktem Gegensatz zu nahezu allen sogenannten “kommunistischen” oder sozialistischen Parteien stehen. Insbesondere zu den “real-existierenden” (bzw. existiert habenden!). Rätekommunistische oder basisdemokratische Orientierungen stehen anarchistischen Ideen somit am nächsten.
“Sowas klappt doch nie!!
Das sind ja alles Spinner, harmlos oder gefährlich, je nachdem!” Nun, Anarchistische Tendenzen oder Realisierungsversuche im Großen hat es schon mehrfach gegeben, nämlich z.B. in:
- der Pariser Commune von 1871, im Blut erstickt von den Versailler Generälen, die, eben von Kaiserdeutschland besiegt, mit dessen massiver Unterstützung in Paris das eigene Volk abschlachteten;
- der Mexikanischen Revolution von 1912, als die “Zapatistas” mit dem Ruf “Tierra y Libertad”, “Land und Freiheit”, die Diktatur stürzten. Emiliano Zapata wurde vom Militär der neuen “Demokratie” ermordet;
- der (2.) Münchener Räterepublik von 1919 (sowie einigen anderen schwarz-roten Räten z.B. im Ruhrgebiet 1920), blutig zerschlagen von SPD-Noske und -Hoffmann und ihren Reichswehr-, Freikorps- und Nazimarodeuren;
- der Machnow-Bewegung in der Ukraine während der russischen Oktoberrevolution, heimtückisch niedergemacht von der “Roten Armee” Moskaus, nachdem gemeinsam die zaristisch-kapitalistischen Invasionstruppen Wrangels und Denikins besiegt worden waren, sowie andere anarchistische Republiken zu Beginn der “Sowjetunion”:
- dem Aufstand von Kronstadt (Insel und Seefestung vor Russlands Hauptstadt St. Petersburg) 1921, dessen Beteiligte die Bolschewisten Lenin-Trotzki “abschießen” ließen “wie Rebhühner”. (0-Ton!);
- dem Aufstand in Patagonien (Argentinien – 1921), beendet mit Massenerschießungen des Militärs;
- in der sogenannten “Commune von Shanghai” (1925), der die machthabenden Bolschewisten die Hilfe verweigerten: “Laßt Schanghai brennen!”;
- der Spanischen Revolution von 1936-1939, der Francos Militär-Putschisten, Hitler, Mussolini und der “Verbündete” Stalin den Garaus machten, während die europäischen z.t. “sozialistischen” Demokratien und die USA “sich nicht einmischten”: so begann der 2. Weltkrieg!!!
- sowie unbekannteren Ereignissen zu vielen anderen Zeiten und an vielen anderen Orten der Erde.
Die bürgerliche und die bolschewistisch-stalinistische Geschichtsschreibung hat die libertären Spuren oft verwischt oder bewusst ganz “bereinigt” und ausgelöscht. Die wiedererstandene anarchistische Literatur bietet hierzu ein weites Informationsfeld. Es gilt ein verschüttetes, freiheitliches Menschenbild wieder zu beleben. Denn:
Freiheit hat einen Namen – Anarchie
Freiheit – das ist ein viel benutztes und missbrauchtes Wort. Alle nehmen es in Anspruch, sogar Nazis und StalinistInnen. Wirkliche Freiheit kann es aber nur da geben, wo es keine Herrschaft von Menschen über Menschen gibt. Das bedeutet also auch die Abwesenheit von Staat, Kapital, Geschlechterherrschaft (Patriarchat), Rassismus und Imperialismus in jeder Form. Frei ist nur, wer über sich selbst, sein Leben, seinen Körper und Denken, unbevormundet selber entscheiden kann. Dazu bedarf es des Wohlstands für alle: guter Kleidung, menschenwürdiger Wohnverhältnisse, ausreichend gesunder Nahrung, und das Endes des Zwangs zur Arbeit. Heute stehen wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit an der Schwelle eines Zeitalters, das diesen alten Traum möglich machen könnte. Ja schon heute bräuchte es keine Hungerkatastrophen und kein individuelles Elend auf Grund von Mangel mehr zu geben. Statt dessen leben wir in einer Welt, die von Herrschenden aller Couleur ausgebeutet, zerstört und der Vernichtung anheimgegeben wird. Die großen Probleme unserer Zeit wie Umweltzerstörung, Hochrüstung und Kriegsgefahr, Bildungsnotstand, Arbeitslosigkeit und Hungersnöte, immer perfektere soziale Kontrolle, neuer nationaler Größenwahn allenthalben und rabiate Machtausübung, Frauenunterdrückung, Sexismus, Vergewaltigung und Mord, sprechen eine beredte Sprache.
Anarchismus und Feminismus
Die “Freiheit der Menschen” ist nicht zu verwechseln mit “der Freiheit der Männer”, als die auch manche Anarchisten ihre Lehre einseitig verstanden zu haben scheinen. Wir leben nach wie vor in einer patriarchalisch organisierten und beHERRschten Gesellschaft und Welt, in der die brutale Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen (und andersgesinnten Männern) die Regel darstellt. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass AnarchistInnen sich an vorderster Stelle gegen die patriarchale Hierarchie auflehnen, die das stärkste und über die ganze Welt verbreitete System der Herrschaft ist. Wir alle haben es tief verinnerlicht. Männer und Frauen stehen ihren “Mann” in der hierarchischen Pyramide und bewahren sie vor dem Einsturz. In den reichen Ländern, in denen wir leben, profitieren Männer und Frauen (in dieser Reihenfolge) vom Patriarchat. Frauen ziehen auch in dieser Gesellschaft in der Regel den Kürzeren, und werden zur ökonomischen Ausbeutung zusätzlich sexuell ausgebeutet und misshandelt. Das trifft in doppelter Hinsicht auf ausländische Frauen zu, die darüber hinaus noch Opfer des allgegenwärtigen AusländerInnenhasses und Rassismus sind. Viele Berührungspunkte zwischen Feminismus und Anarchismus liegen somit auf der Hand. Es kann aber auch nicht der Sinn von befreiender Gleichberechtigung sein, wenn die Geschlechterrollen einfach umgetauscht werden. AnarchistInnen streben den freien und gleichberechtigten Menschen an und das hört nicht beim sog. “Privaten” auf, sondern gilt gerade und insbesondere da.
Zukunft für Kinder
Anarchie heißt auch nicht “Freiheit der Erwachsenen”. Kinder sind in dieser Gesellschaft als schwächstes Glied der Willkürherrschaft der Familien und ErzieherInnen ausgesetzt. Weltweit sind Kinder als Spielball ihrer Eltern und als Opfer verfehlter Erwachsenenmachtpolitik die Leidtragenden einer autoritären und ausbeuterischen Gesellschaft. Das gipfelt in Vergewaltigung, Folter, Sklaverei und Mord. Anarchie verwirklichen bedeutet vor allem, eine Zukunft für Kinder zu schaffen, die befreit ist von autoritärer Unterdrückung und Manipulation. Kinder sollen frei von Angst und Benachteiligung als kleine, ernstzunehmende Menschen aufwachsen und sich entfalten können. Für sie haben wir zwar Sorge zu tragen und ihnen auf Grund unserer größeren Erfahrung, Körperkraft und unserer materiellen Möglichkeiten unsere Förderung, Schutz und Hilfe zukommen zu lassen. Aber deshalb gibt es keinerlei “Besitzrechte” an ihnen. Es sind nicht unsere Kinder, sondern zu allererst frei geborene und gleichberechtigte Menschenwesen, die ein Recht auf persönliche Freiheit, Unversehrtheit und das Erbe einer intakten Umwelt haben.
Wir brauchen keine anderen Herren, wir brauchen gar keine! (Brecht)
AnarchistInnen sind auch GegnerInnen jedes Rassismus und Nationalismus. Freiheit hat kein Vaterland und niemand ist berechtigt, sich wegen seiner Herkunft oder Abstammung über andere zu stellen.
Es gibt keine Patentrezepte, deshalb kann es auch keine perfekten Programme, keine FührerInnen, Dogmen und VorbeterInnen geben. Die Selbstorganisation ist nur möglich durch die weitestgehende Entfaltung, Mitarbeit und Selbstverantwortlichkeit der Einzelnen zusammen mit anderen, und ihren Willen, zu handeln. Parlamentarismus in jeder Form ist im geringsten Fall die ständige Unterdrückung von Minderheiten durch die etablierte Mehrheit. Darum ist auch diese Form der Oberherrschaft keine Alternative. Es gibt kaum ein Verbrechen, das noch nicht von sogenannten demokratischen Regierungen im Namen von “Demokratie” und “Freiheit” begangen worden wäre. Noch etwas zum guten Schluß: Wir haben keine Lobby und kochen auch nur mit Wasser. Freiheit ist auch nicht bequem und ungefährlich. Es liegt in der Natur der Sache, dass du dich schon selber aufraffen musst, etwas zu tun, etwas in Bewegung zu bringen. Du kannst es! Wenn du also von jemand etwas erwartest, dann erwarte es am besten erstmal von dir selber. Das ist ein guter Weg zu gemeinsamer Stärke und Vielfalt. Wenn dir das eben Gelesene gefällt, dir zu denken gibt, dich neugierig gemacht hat: dann schau mal auf folgende Seiten oder schreib an: a-gruppe (a) no-log.org.
http://www.fau.org Ӣ http://www.graswurzel.net Ӣ http://www.anarchismus.at Ӣ http://www.anarchismus.de
(Textquelle: http://www.anarchismus.at; leicht bearbeitet und gekürzt für diesen Flyer)
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