Geschichte und Gegenwart des Anarchismus
Am 16.03.2006 veranstalteten die FAU Leipzig und die Libelle gemeinsam einen Vortrag mit Lou Marin von der Zeitschrift Graswurzelrevolution, welcher sich mit „Geschichte und Gegenwart des Anarchismus“ befasste. Im folgenden geben wir den Ankündigungstext und einen Kurzbericht zur Veranstaltung wieder:
ANKÜNDIGUNGSTEXT
Wer wollte nicht immer schon mal wissen, was das ist: Anarchie, Anarchismus, anarchistische Bewegung? Zustände wie im Irak, im Sudan? Weit gefehlt! Das ist überhaupt das Gemeine, dass Staaten und Militärs Länder kaputtmachen und dann behaupten, dort herrsche Anarchie! Lou Marin arbeitet seit 1979 praktisch und theoretisch für die gewaltfrei-anarchistische Zeitung Graswurzelrevolution. Er versucht, an diesem Abend den weiten Bogen zu spannen und einen einführenden Überblick über die Geschichte des Anarchismus und der anarchistischen Bewegung weltweit zu geben und daraus Positionen und Strömungen bis in die Gegenwart zu erklären und darzustellen. Dabei geht es um individualistischen, kollektivistischen und kommunistischen Anarchismus, Anarchosyndikalismus bis zur spanischen Revolution, gewaltfreien Anarchismus, Anarchafeminismus, Ökoanarchismus bis zu den vielen Internationalen, in denen sich AnarchistInnen heute organisieren, und bis zu Perspektiven von AnarchistInnen in der aktuellen Bewegung für eine andere Globalisierung weltweit.
Eine Veranstaltung von Libelle und FAU Leipzig
KURZBERICHT
Vor ca. 20 Zuhörern referierte Lou Marin einen spannenden Abriss über den Anarchismus in seiner historischen und thematischen Vielfalt: Von einem Vorläufer des Anarchismus wie Godwin, über den Individualanarchismus eines Stirners, über den Sozialanarchismus in seinen Varianten des Mutualismus (Proudhon), kollektivistischer Anarchismus (Bakunin) und kommunistischer Anarchismus (Kropotkin), über den als „Propaganda der Tat“ gehypten Attentatismus und die Gegenstrategien Anarchosyndikalismus (mit Rocker als bekanntesten Theoretiker) und gewaltfreier Anarchismus (Tolstoi, Landauer) bis hin zu den anarchistischen Tendenzen in den sozialen und ökologischen Bewegungen seit Ende des 2. Weltkriegs. Laut dem Referenten beharrt der Anarchismus darauf, dass sich aus den erstmal frei geborenen Menschen keine Herrschaft ableiten lasse bzw. dass diese nicht an sich einsichtig sei, sondern einer Legitimation(sideologie) bedarf. Das unterscheide den Anarchismus von den Ideologien, die Herrschaft legitimieren wollen; der Anarchismus sei daher Ideologiekritik. In der anschließenden Diskussion wurde sowohl einige Aspekte thematisch vertieft, u.a. wie sich soziale Bewegungen davor schützen können, dass sie von autoritären Personen, Organisationen oder Strukturen übernommen werden (z.B. keine Parteivertreter dulden, Minderheitenrechte, Auflösung der Großplena mit ihren informellen Hierarchien) und wie man damit umgehen kann, dass viele Leute passiv bleiben, nicht die Möglichkeit sehen, oder es ihnen an Erfahrung und Wissen fehlt eine freiheitliche Gesellschaft umzusetzen (z.B. das Konzept relevanter Minderheiten, die ihre Ideen umsetzen, die dann als Vorbild wirken sollen, was aber mindestens die – wohlwollende bis neutrale – Toleranz der Restgesellschaft voraussetzt) als auch Fragen zu aktuellen anarchistischen Entwicklungen, z.B. in Lateinamerika und die anarchistischen Bibliotheken und Archive eingegangen.
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